Do-Foss: Dortmunder Initiative für Freie Software

Do-FOSS ist eine erfolgreiche Initiative für Freie und Open-Source-Software, in der Dortmunder Stadtverwaltung.
Do-FOSS ist davon überzeugt, dass Freie Software besser geeignet ist um Transparenz, Vertrauen, Wettbewerb (um die besten Ideen), Synergieeffekte und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Auch erleichtert geteiltes Wissen die Lösung von gesellschaftlichen Krisen. 

 

Interview mit Christian Nähle von Do-FOSS:

Kannst Du kurz erklären was Do-FOSS ist?

Do-FOSS ist die Dortmunder Initiative für Freie und Open-Source-Software. Wir legen den Fokus auf den Aspekt Freier Software. Aber um den Namensstreit dahinter, ob Freiheit oder Offenheit betont werden soll, direkt vom Tisch zu räumen, haben wir beides mit aufgenommen.

Als Organisation sind wir ein Wissens- und Handlungsnetzwerk und Teil der digitalen Zivilgesellschaft. Wir haben zehn verschiedene Kooperationspartner, mit denen wir je nach Fragestellung zusammenarbeiten, Wissen zusammenstellen und Akteure organisieren. Unseren größten Erfolg hatten wir im letzten Dezember (2022), als der Rat der Stadt Dortmund einstimmig die Einrichtung einer Koordinierungsstelle „Digitale Souveränität und Open Source“ beschlossen hat. Damit hat sich Freie Software bei der Stadtverwaltung institutionalisiert, da jetzt strukturiert, strategisch und eigenständig seitens der Verwaltung an dem Thema gearbeitet wird.

Was ist Eure Vision?

Wir möchten strategisch den Freien Softwareanteil in unserer Kommunalverwaltung erhöhen und sukzessive die proprietäre Software ablösen.

Wie würdet Ihr proprietäre Software einer Person erklären, die mit dem Wort nichts anfangen kann?

Gute Frage, darüber haben wir auch lange nachgedacht. Am Ende ist die Open-Source-Tomate Sunviva zum bevorzugten Beispiel geworden. Die Tomate ist im Gegenteil zur abstrakten Digitalisierung ein konkreter Gegenstand und ich kann sie mit allen Sinnen erfassen. Daran kann die Problematik von Hybridsaatgut, das mit abgeschotteter Software verglichen werden kann, gut erklärt werden. Die Leute sagen schnell, dass sie sich der einschränkenden Nutzungsbedingungen von Saatgut nicht bewusst waren und das als Skandal empfinden. Dann müssen wir nur noch sagen „bei der Software ist das auch so“ und die Leute sind überzeugt, dass es gut ist, eine Alternative zu schaffen. Wir haben auch einen Text bei uns auf der Homepage „Saatgut wie Software eine Frage der Lizenz“, die nochmal die Gemeinsamkeiten herausstellt.

Grafik: Bits und Bäume, der Vergleich des freies Saatguts mit freier Software, Quelle: DoFoss
Was hat Euch dazu bewegt, diese Initiative anzustoßen?

Erstmal das Interesse und die Faszination an Freier Software. Wir fanden es toll, dass wir Freie Software nach Gutdünken installieren und nutzen konnten. Es war also ein Freiheitserlebnis, dass dahinter steckte. Dann kamen die ersten politischen Gedanken dazu, dass es gerade mit der immer größer werdenden Rolle des Internets im Alltag sinnvoll ist, verstehen zu können, wie Software unsere Daten verarbeitet. Zunehmend fanden wir das so interessant, dass wir uns detaillierter mit den Vorteilen von Freier Software beschäftigt haben, und uns dann gefragt haben, warum die Stadtverwaltung das eigentlich so wenig nutzt. Daraus ist dann Do-FOSS als zunehmend professionalisierte Initiative entstanden und wir sind in den Dialog mit der Kommunalverwaltung getreten.

Wo seht Ihr die Rolle von Do-FOSS, jetzt wo es die Koordinierungsstelle gibt?

Wir werden dann Teil des Onboarding-Prozesses, eine Art intensiverer Einarbeitung für die Person, die bei der neuen Koordinierungsstelle angestellt wird und unsere Erfahrungswerte, Historie und Netzwerke teilt. Von da werden wir dann weiter gucken und auf die neuen Gegebenheiten reagieren. Wir überlegen noch, wie wir aus Dortmund der Rolle der kommunalen Wegbereiter:in für mehr Freie Software gerecht werden können, damit auch andere Kommunen von der Arbeit in Dortmund profitieren können.

Welche Ressourcen und Faktoren waren bei der Gründung im weiteren Verlauf von Do-FOSS wichtig?

Wir waren immer eine sehr ressourcenarme Initiative, mit relativ wenig Personal, geringen laufenden Kosten und ohne Fördermittel. Es steckt eine Menge persönliches Engagement in den Ressourcen. Das Wichtigste ist sicherlich die viele Zeit, die wir investiert haben. Die hat sich sozusagen durch Leidenschaft finanziert und durch die Erkenntnis, dass wir keine kurzfristigen Ziele erreichen können. Es war klar, dass wir beharrlich im Bemühen sein müssen und eine gewisse Bescheidenheit in den Erfolgserwartungen brauchen, um an der Größe der Aufgabe nicht zu verzweifeln. Einen direkten Weg unser Ziel erreichen zu können, gab es nicht.

Wir haben erst mal ein Akteursmapping gemacht und dann viele Einzelkontakte geknüpft, z.B. zum Dortmunder Systemhaus, dem zentralen stadteigenen IT-Dienstleister, zur Datenschutzbeauftragten, zur Gewerkschaft, dem Personalrat, Parteien, anderen Digitalisierungsinitiativen und Wirtschaftsakteuren. Es war auch wichtig, dass wir uns in der Vorarbeit ein starke Klarheit darüber verschafft haben, was wir wollen und auch, was wir nicht wollen. Uns war z.B. wichtig, dass wir eine Open-Source-Initiative und keine Open-Data-Initiative sind. Die sind zwar eng miteinander verwandt und passen auch sehr gut zusammen, benötigen aber doch unterschiedliche Argumentationsstränge. Indem wir uns auf ein Thema spezialisiert haben, wurden wir als Expert*innen erstmal nur in diesem Thema wahrgenommen, was auch gut funktioniert hat.

Wie habt Ihr es geschafft, genug Unterstützung aufzubauen und die Erfolge zu erzielen?

Ähnlich wie der Charakter Bepo der Straßenfeger in der Geschichte “Momo” von Michael Ende, der auf die Frage wie er eine ganze Straße fegt, antwortet „Schritt für Schritt“. Gerade bei so weitgehenden Vorhaben wie Freie Software in die strategische Digitalisierung der Verwaltung zu bringen, ist es wichtig, den Weg in kleine Schritte zu zerlegen um auch tatsächlich ans Ziel zu gelangen. Außerdem braucht eine Organisation, wie eine Stadt, immer klare einzelne Schritte, die sie gehen kann. Das bedeutet eine hohe Anforderung an die eigene Geduld.

Unser Problembewusstsein war erst mal deutlich größer als die Lösungskompetenz die wir hatten. Am Anfang ging es viel darum, proprietäre Software zu problematisieren und dadurch auch eine Verantwortung bei bestimmten Entscheidungsträger*innen in der Kommunalverwaltung herzustellen. Denn wir haben festgestellt, dass die Leute, die noch kein Problembewusstsein haben, Freie und Open Source Software gar nicht als Lösung verstehen können. Mit der Zeit ist klar geworden, dass es häufig darum geht, Zusammenhänge herzustellen und das abstrakte Thema Digitalisierung in konkreten Bildern anschaulich und dadurch diskussionsfähiger zu machen. Das muss sich entwickeln und dabei vergehen schnell auch Jahre, aber auch das hat uns immer Spaß gemacht.

Ich glaube, es ist auch ein ganz wichtiger Aspekt, dass man auch Spaß miteinander hat. Dabei ist eine klare Zielvorstellung auch hilfreich.

Welche Schwierigkeiten gibt es?

Die Schwierigkeit, die uns gerade begegnet ist, dass wir Freie Software breit zugänglich und genutzt machen möchten, aber trotzdem sicherstellen wollen, dass sie nicht der Marktlogik unterworfen wird.

Ich glaube, die nächste wirklich entscheidende Frage ist, wie commonsorientierte Softwareproduktion am besten organisiert werden kann. Momentan wird in der bundesrepublikanischen Debatte offiziell von Open Source und nicht von Freier Software gesprochen. „Open“ könnte, wenn man es streng auslegt, auch nur Transparenz bedeuten. Wir denken, dass Freie Software die Freiheit der Nutzenden betont und es wichtig ist, diese Bedeutung aufrechtzuerhalten.

Die Frage ist auch, wieso sich der Staat jetzt für die Digitale Souveränität auf einmal in die schon existierende Gemeingutsbewegung hinein orientiert und anfängt, das finanziell zu fördern. Ich glaube, dass die Begriffsfrage nochmal deutlich wichtiger wird, wenn jetzt massiv Geld in die Freie-Software-Bewegung eingeführt wird und dadurch die üblichen marktwirtschaftlichen Mechanismen auf einmal alles ummanteln.

Die große Frage ist jetzt, wie sich die Bewegung verändern wird und ob die Freie-Software-Bewegung tatsächlich frei bleibt. Auch fragen wir uns aus einer Commonssicht, ob wir mit den Institutionalisierungsschritten, die wir erreicht haben, auch dazu beigetragen haben, dass dieses Gemeingut der Freien Software Teil der marktwirtschaftliche Logik wird. Ob es tatsächlich der Fall ist, dass der Kapitalismus jetzt unsere ganze Arbeit eingeholt hat, ohne Freie Software zu ihrer wesentlichen Geltung zu bringen, wird die Zeit noch zeigen müssen.

Hoffnung macht mir, dass ein Projekt für die Produktion von Open-Source-Saatgut in Dortmund gerade gezeigt hat, dass es möglich ist, es in Gemeinschaft zu produzieren und eine ganze Stadt dadurch mit Saatgut zu versorgen.

Auf Eurer Website schreibt Ihr auch „Wettbewerb braucht Freie Software“. Was meint Ihr damit?

Da ist Wettbewerb im Sinne eines Wettbewerbs um die besten Ideen, und nicht im Sinne eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zu verstehen. Bei proprietärer Software gibt es einen Hersteller-Einschluss, aus dem man erst mal nicht so einfach raus kommt. Das bedeutet beispielsweise, dass Microsoft-Office-Dateiformate nur von Microsoft Office ganz richtig geöffnet werden können. Momentan gibt es eingehegte proprietäre Software und Monopolisten wie Microsoft, mit denen nicht konkurriert werden kann, weil der Quellcode nicht zugänglich ist. Insofern ermöglicht Freie Software Wettbewerb um die besten Ideen.

Wie reagiert Ihr auf das Argument, dass die Umstellung von proprietärer zu Freier Software zu teuer sei?

Der erschwerte Wechsel liegt nicht an der Freien Software, sondern an der proprietären Software. Und die entstehenden Kosten müssen deshalb auch denen zugeschlagen werden.

Wo seht Ihr Euch auf den drei NOW-Wegen (den Markt am Gemeinwohl orientieren und damit zurückdrängen, die Gesellschaft umfassend demokratisieren, Commons ausbauen)?

Im Freien Softwarekontext verstehe ich Gemeinwohl durch die vier grundlegenden Werte von Freier Software: verwenden, verstehen, verbreiten, verbessern. Wir wollen den strategischen Freien Softwareanteil erhöhen, dadurch steigt im Sinne dieser Definition auch das Gemeinwohl.

Aber die Frage die sich uns stellt ist: Wie schaffen wir es mit der Debatte, die im Moment in den staatlichen Institutionen läuft, die Märkte tatsächlich zurückzudrängen? Ich bin zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber wir müssen jetzt auch über die Frage der commonsgemäßen Finanzierung von Freier Software diskutieren. Davon hängt auch ab, ob wir es schaffen, diese Commons auszuweiten oder ob sie erst mal nur für die digitale Souveränität genutzt werden.

Freie Software trägt, meiner Meinung nach, das umfassende Demokratisieren der Gesellschaft schon im Kern in sich. Wir haben dafür ein Vergleichsbild mit Gesetzestexten entwickelt, da die auch kompliziert sind und man viel Vor- und Kontextwissen braucht, um sie zu verstehen. Obwohl nicht alle Menschen Gesetzestexte verstehen können, wird es als ein Bestandteil der Demokratie verstanden, dass sie offen zugänglich sind.

Niemand sagt, dass wir Gesetzestexte nur noch für bestimmte Berufsgruppen wie Richter, Verwaltungsangestellte und Politiker zugänglich machen sollten. Bezüglich Freier Software sind aber viele der Meinung, dass es unerheblich sei, ob der Quellcode offen liegt oder nicht, da sie ihn nicht verstehen können. Aber genau wie bei Gesetzestexten ist es gut, dass er der Öffentlichkeit zugänglich ist. Menschen können dann entscheiden, ob sie sich in das Thema einarbeiten wollen oder wem sie diesbezüglich vertrauen.

Ein wichtiges Element für Vertrauen ist auch, dass wir entscheiden können, wem wir vertrauen. Wir können uns z. B. aussuchen, wer unser Anwalt sein soll.

Es geht auch darum, dass unabhängige Gruppierungen, wie zum Beispiel der Chaos Computer Club, Software auditieren. Sie können so feststellen, ob der Software Code nur das macht, was er machen soll. Damit sie dann an einer Fachdebatte teilnehmen können.

Wie können Interessierte Eure Initiative unterstützen oder mitmachen?

Über Kontakte freuen wir uns immer! Wir wollen Netzwerke vertiefen und die Kunde verbreiten.

Zukunftsmalerei: Wie würdest du dir den Bereich der Freien Software in 10-20 Jahren bestenfalls vorstellen?

Wir haben es geschafft eine Organisation aufzubauen, die die commonsgemäße Finanzierung von Freier Software sehr stark in der Gesellschaft verankert hat. So konnten wir ein größeres Problembewusstsein schaffen und erreichen, dass sich Freie Software unumstritten durchgesetzt hat. Dann wäre der öffentlichen Dienst nicht mehr an einzelne Hersteller gebunden, und Monopolstrukturen wurden aufgebrochen.

Wie können sich Menschen informieren?

Der Do-FOSS-Blog ist ein gute Informationsquelle, sehr spezialisiert auf die konkreten Entwicklungen in Dortmund. Aber Dortmund wird auch immer mehr, z. B. durch die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), als Referenzkommune wahrgenommen. Ansonsten ist die Free Software Foundation Europe ein wesentlicher Akteur, worüber Menschen die wesentlichen Informationszugänge finden können. Es gibt z. B. auch einen größeren E-Mail-Verteiler mit Menschen aus Zivilgesellschaft und Verwaltung aus der ganzen Republik, die sich für das Thema interessieren.

Danke für das Interview und Euer Engagement!

Hier ein Artikel zum Thema: Nutzung von Open Source oder Freier Software für den privaten Gebrauch.

Und hier ein Artikel zu OpenSourceSeeds, Saatgut als Gemeingut schützen.