Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften (CSX)

Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften (CSX)

Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften ist von der Organisationsform der Solidarischen Landwirtschaft inspiriert. Im englischsprachigen Raum sprechen Menschen von einer Community Supported Agriculture (CSA). Was bedeutet das genau?

„Eine Gruppe von Menschen bildet eine Gemeinschaft und legt die gesamten laufenden Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs auf alle Mitglieder um. Dies verändert die Beziehung zwischen Konsument*innen und Produzent*innen – sie tragen gemeinsam das Risiko und die Verantwortung für die Produktion der Lebensmittel und die Entwicklung der Organisation. Die Erzeugnisse werden nicht mehr für einen Marktpreis verkauft, sondern an die Mitglieder verteilt, denn die laufenden Kosten sind durch die Beiträge der Mitglieder bereits gedeckt.“ (Quelle: gemeinschaftsgetragen.de)

 
Bezug zur solidarischen Landwirtschaft

Beim Gemeinschaftsgetragenen Wirtschaften werden die Prinzipien aus der Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi) auf weitere Themenfelder übertragen. Deshalb ist nicht mehr die Rede von CSA, sondern von CSX. Der Buchstabe X steht dann für die unterschiedlichsten Anwendungsmöglichkeiten.

Auf dieser Grafik wird das Prinzip des gemeinschaftsgetragenen Wirtschaften dargestellt.
Quelle: CSX

 

Interview mit Kerstin, aktiv im CSX-Netzwerk und Mitbegründerin von SoLocal Energy:

 
Was ist das CSX-Netzwerk und was ist der Unterschied zu SoLocal Energy?

Es handelt sich um zwei Ebenen. SoLocal Energy ist ein lokales Projekt, welches „produktiv“ ist, d.h. Dienstleistungen auf eine gemeinschaftsgetragene Weise bereitstellt. Das CSX-Netzwerk wiederum ist der Zusammenschluss verschiedener Akteur*innen, die das gemeinschaftsgetragene Wirtschaften praktizieren, beforschen oder sich generell für das Thema interessieren.

 
Warst du in der Gründungszeit von SoLocal Energy schon im Kontakt mit dem Thema CSX?

Das Aktivwerden im CSX-Netzwerk und die Ausrichtung von SoLocal Energy lief fast parallel ab. Ich stellte mir schon länger die Frage, wie sich der Solawi-Gedanke auf den Energiebereich übertragen lässt. Im Jahr 2020 haben wir ein Stipendium vom Land Hessen bekommen und daraufhin mit SoLocal Energy angefangen. Durch dieses „Start-Up-Programm“ sind wir am Anfang häufig zu Veranstaltungen gefahren. Bei einer Veranstaltung zum Thema Genossenschaften und wie sich diese innovativer gestalten lassen, habe ich dann Menschen vom CSX-Netzwerk kennengelernt. Durch das Netzwerk habe ich gemerkt, dass auch Andere sich Gedanken zu diesem Thema machen und praktisch CSX-Projekte umsetzen. Mit SoLocal Energy wollten wir uns schon von Anfang an gemeinwohlorientiert ausrichten. Ohne diese Begegnung hätte ich mich aber wahrscheinlich nicht getraut, diese Idee in mein Team zu tragen.

 
Was sind für dich die wichtigsten Muster und Prinzipien dieser Art des Wirtschaftens?

Auf der monetären Ebene ermöglicht das Konzept von CSX potenziell, dass alle teilhaben können, weil es eine gemeinschaftsgetragene Finanzierung gibt. Es ermöglicht also auch Teilhabe für Menschen aus unterschiedlichen Einkommensklassen. Konkret wird das meistens über Bietrunden geregelt, in der jede Person hineingeben kann, was sie hat und geben kann. In der Praxis stellt sich das aktuell als etwas schwieriger heraus. In Solawis findet man heutzutage meistens immer noch eher „links-grüne Ökos“ aus der Blase, anstatt die gesellschaftliche Vielfalt. Allerdings ist es erklärtes Ziel der Bewegung, die breite Masse zu erreichen.

Über das rein Monetäre hinaus liegt ein starker Fokus, wie beim Commoning, auf Beziehung. Es gibt keinen festen Preis. Einerseits entsteht so ein Aushandlungsprozess mit den Anbieter*innen, andererseits mit den Mitgliedern. Ich muss mich also positionieren und kann mich nicht einfach freikaufen („Gemüse gegen Geld“). Ich muss überlegen: Was ist mir das Gemüse wert? Was ist mir die Arbeit von den Personen wert, die das Gemüse anbauen und ernten? Diese Fragen schaffen einen Bezug zu den Lebensmitteln und der Arbeit. Über Geld zu sprechen ist ein riesiges Tabuthema und gleichzeitig aus meiner Perspektive für eine Wirtschaftswende total wichtig.

 
Bedürfnisorientierung

Spannend finde ich auch den Aspekt, dass diese Form des Wirtschaftens auch auf der Anbieter*innenseite bedürfnisorientiert ist. Viele Produkte, die heute hergestellt werden, sind ziemlich sinnlos. Viele Menschen müssen dafür arbeiten, dass diese sinnlosen Produkte hergestellt werden, damit wiederum andere Menschen, die einer anderen sinnentleerten Arbeit nachgehen, diese Produkte kaufen. CSX geht über den anonymen Konsum hinaus, denn beim gemeinschaftsgetragenen Wirtschaften entstehen Projekte nur dann, wenn die Gründer*innen auch dafür brennen und  einen Bedarf sehen. Wenn Leute bereit sind, sich in eine solche Gruppe und in den damit verbundenen Aushandlungsprozess hineinzubegeben. Deshalb gibt es, wenn die Bedürfnisse gedeckt sind,auch keinen Zwang weiter zu wachsen, wie im Kapitalismus.

Das gemeinschaftsgetragene Wirtschaften kann zum Kulturwandel beitragen. Im Vergleich zur kapitalistischen Organisation (eine Person bietet ein Produkt an, und muss dafür das „unternehmerische“ Risiko tragen) wird die Verantwortung auf alle Teilnehmenden (um-)verteilt. Das geschieht einerseits auf einer monetären Basis, andererseits wird aktiv Verantwortung übernommen. Beispielsweise durch Hilfe bei der Ernte. Im Fall von Solocal Energy können Menschen beim Aufbau von Solaranlagen mithelfen. Dadurch löst sich das starre Verhältnis von Produzent*in und Konsument*in.

 
Lässt sich das CSX-Konzept auf alle wirtschaftlichen Bereiche übertragen, die bislang kapitalistisch organisiert sind?

CSX kann ein Baustein der Transformation sein und ist vor allem eine gute Möglichkeit, wie wir im Hier und Jetzt anfangen können, alternativ zu wirtschaften. So können wir dem Markt Macht entziehen. Wenn ich alles, was ich konsumiere, gemeinschaftsgetragen organisieren würde, komme ich wahrscheinlich vor lauter Kommunikation überforderungsbedingt an meine Grenzen. Es ist eben auch ok, anteilig anonym nehmen zu dürfen. Die Vorstellung, meine Grundbedürfnisse gemeinschaftsgetragen und bedürfnisorientiert mit anderen zu organisieren, finde ich sehr schön!