OpenSourceSeeds will Saatgut wieder zu einem Gemeingut für alle Menschen machen. Momentan wird Saatgut zunehmend privatisiert und von wenigen großen Konzerne kontrolliert. Das führt unter anderem dazu, dass Sortenvielfalt verloren geht, wodurch die Landwirtschaft ihre Anpassungsfähigkeit verliert. OpenSourceSeeds möchte dem etwas entgegensetzen und hat dafür eine Lizenz entwickelt, um Saatgut als Commons zu schützen.
Interview mit Johannes Kotschi von OpenSourceSeeds
Was macht OpenSourceSeeds? Was ist Eure Vision?
Mit OpenSourceSeeds sehen wir uns als Dienstleister für Pflanzenzüchter*innen, die neue Sorten als Gemeingut zur Verfügung stellen möchten. Nach unserem Verständnis muss ein Gemeingut als solches geschützt werden. Wir haben dafür eine Open-Source Saatgut (OSS) Lizenz entwickelt, die das ermöglicht. Wir sind überzeugt, dass wir Saatgut als Gemeingut brauchen, um biologische Vielfalt zu erhalten und die großen Zukunftsaufgaben der Landwirtschaft zu bewältigen, wie die Anpassung an den Klimawandel und die Ernährungssicherung. Unserer Meinung nach kann der Privatsektor diese Vielfalt nicht liefern, unter anderem aufgrund von Privatisierung, Monopolbildung und Ausschlüssen beim Zugang zu Saatgut. Deshalb ist unsere Vision, zum Aufbau eines gemeingüterbasierten Saatgutsektors beizutragen, wo Sorten frei von geistigen Eigentumsrechten wie Patenten oder Sortenschutz zugänglich sind.
Was hat Euch dazu bewegt, das Projekt anzustoßen?
OpenSourceSeeds ist ein Programm des Vereins Agrecol e.V., der die ökologische Landwirtschaft im globalen Süden fördert. Seit Gründung des Vereins, vor etwa 40 Jahren hat, ist die Versorgung mit bäuerlichem Saatgut ein zentrales Anliegen unserer Arbeit. Vor zehn Jahren las ich dann eine Veröffentlichung von Silke Helfrich über Gemeingüter, die mich sehr begeisterte: „Wohlstand durch Teilen“. Es entstand die Idee etwas für das Saatgut zu entwickeln, einen Schutz der vergleichbar ist mit den Creative Commons Lizenzen, für den Bereich des Urheberrechts, zu dem Saatgut ja leider nicht gehört.
Wie funktioniert die Lizenz?
Die Saatgutlizenz ist im Grunde eine Nutzungsvereinbarung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und enthält die zentralen Open-Source-Prinzipien: Jeder darf das Saatgut nutzen, niemand darf es privatisieren und zukünftigen Nutzer*innen des Saatguts werden die gleichen Rechte und Pflichten übertragen. Die letztgenannte Regel, auch copyleft genannt, führt dazu, dass auch alle Weiterentwicklungen unter die Lizenz fallen. Sie ist also viral. Die Lizenz kann den Saatgutgesetzen optional beigefügt werden. Das erste Saatgutverkehrsgesetz regelt, dass die Vermarktung des Saatgutes einer ganzen Reihe von Kulturpflanzen zulassungspflichtig ist. Das Sortenschutzgesetz gibt den Züchter*innen ein Eigentumsrecht. Aber der Sortenschutz ist optional. Züchter*innen können darauf verzichten oder sich für OSS-Lizenz als Alternative entscheiden.
Und welche Open-Source-Sorten gibt es jetzt im Moment?
Es gibt inzwischen eine ganz Reihe von Sorten, die die OSS-Lizenz nutzen. Dazu gehören Getreidearten wie Weizen und Roggen, aber auch Kartoffeln und relativ viele verschiedene Tomatensorten. Insgesamt haben wir jetzt ungefähr hundert Sorten oder Populationen Open-Source lizenziert, das ist ein Anfang.
Gibt es einen Grund dafür, dass es so viele Tomaten sind? Und wo können Menschen Open-Source-Saatgut erhalten?Tomaten sind ein sehr beliebtes Züchtungsobjekt von Hobbyzüchter*innen und die sind ein Teil unserer Klientel. Auf unserer Website gibt es eine Übersicht von den Open-Source-Sorten und Adressen, wo man das Saatgut beziehen kann. Wir verstehen uns eigentlich mehr so als eine Koordinationsstelle und verkaufen oder verbreiten selber keine Samen.
In welchen Regionen seid Ihr aktiv? Gibt es ähnliche Initiativen in anderen Teilen der Welt?
Zunächst bezog sich unsere Arbeit im Wesentlichen auf den europäischen Markt. Nun engagieren wir uns auch im globalen Süden. So unterstützen wir in Kenia eine NGO, die sich um die bäuerliche Saatgutversorgung kümmert, bei dem Schutz ihrer lokalen Sorten. Gemeinsam mit anderen Initiativen auf nahezu allen Kontinenten haben wir vor drei Jahren das Netzwerk Global Coalition of Open Source Seed Initiatives (GOSSI) gegründet. Wir pflegen Erfahrungsaustausch und gegenseitige Beratung, bieten Webinare an und betreiben Lobbying.
Welche Ressourcen und Faktoren waren für die Gründung des Projekts wichtig und welchen Stolpersteinen seid ihr begegnet?
Ein wichtiger Faktor war, dass wir einen Juristen fanden, der uns die Lizenz zu relativ günstigen Konditionen entwickeln konnte. Zu üblichen Marktpreisen wäre das nicht finanzierbar gewesen. Hinderlich sind manchmal die vielen verschiedenen Positionen der Züchter*innen zur Nutzung der Open-Source-Lizenz und wie Saatgut am besten als Gemeingut gesichert werden kann. Das macht es manchmal schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Wo seht Ihr Euch auf den drei NOW-Wegen (den Markt am Gemeinwohl orientieren und damit zurückdrängen, die Gesellschaft umfassend demokratisieren, Commons aufbauen)?
Ich denke, dass wir dazu beitragen, die Marktkonkurrenz abzubauen und Commons aufzubauen. Wir sehen die Pflanzenzüchtung als eine gesamtgesellschaftliche, gemeinnützige Aufgabe, die kostenlos sein sollte und nicht durch Patent, Gebühren oder Sortenschutzgebühren finanziert ist. Die Saatguterzeugung sehen wir wiederum als eine wirtschaftliche Aktivität, aber bei Open-Source Sorten kann das theoretisch jede*r machen, auch wenn die meisten Leute doch bei den Ursprungszüchter*innen kaufen. Trotzdem denke ich, dass die Marktkonkurrenz auf jeden Fall verringert ist. Wir verstehen und als Forschungs- und Entwicklungsprojekt. Sicherlich müssen verschiedene Wege ausprobiert werden. Die Zeit wird zeigen, ob die OSS-Lizenz der richtige Weg ist, um Saatgut als Commons zu sichern.
Wie können Menschen, die an eurem Projekt interessiert sind, euch unterstützen oder bei euch mitmachen?
Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, die die Idee aufgreifen und mit unserer Unterstützung dann eigene Aktionen starten. Beispiele sind das Brot-Projekt – ein Brot für freies Saatgut – in Berlin sowie Startersets für Gärtnernde mit Open-Source Saatgut. Andere tragen den Gedanken in die Schule und machen Saatgut zu einem spannenden Thema. Jetzt gerade überlegen wir, einen Verein zu gründen, um mehr Menschen einbinden zu können. Und natürlich freuen wir uns immer über Spenden.
Zukunftsmalerei: Wie könnte der Bereich des Saatgutes als Gemeingut in 10–20 Jahren bestenfalls aussehen?
Die große Vision ist auf jeden Fall, eine zweite gemeingüterbasierten Säule für die Saatgutversorgung neben der privaten Saatgut-Wirtschaft aufzubauen. Es wäre schon auch großartig, wenn Open-Source Sorten im Baumarkt in den Saatgut-Regalen stünden, ähnlich wie biologische Lebensmittel in Supermärkten. Dann können Verbraucher*innen einfach selbst entscheiden, was sie kaufen.
Danke für das Interview und Eure Arbeit!
Hier ein Artikel zum Thema: DoFoss, eine Initiative zur Verwendung Freier Software in der Dortmunder Stadtverwaltung. Und hier ein Artikel zum Thema: privaten Gebrauch von Open Source Software.
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