„Brauche ich das?“ anstatt „Wie viel kostet das?“ Ein Umsonstladen ist ähnlich wie ein Second-Hand-Shop, funktioniert aber ohne Geld und Tauschlogik. Er richtet sich gegen Überkonsum und für eine gerechte Verteilung von Wohlstand. Der Umsonstladen in Leiden ist der älteste seiner Art in den Niederlanden. Er ist Teil eines Kultur- und Sozialzentrums: Vrijplaats (freier Ort).
Interview mit Ruud vom Umsonstladen Leiden
Was ist ein Umsonstladen?
Genau das, was der Name beschreibt: ein Umsonstladen. Wenn du Sachen hast, die du nicht mehr brauchst oder willst, kannst du sie zu uns bringen. Wir sorgen dann dafür, dass alle Dinge im Laden einsortiert werden, damit Leute, die diese Sachen brauchen, sie mitnehmen können.
Kannst Du kurz die Geschichte des Umsonstladens Leiden erzählen?
Soweit ich weiß, sind wir der älteste noch existierende Umsonstladen in den Niederlanden. Wir sind 1999 aus einer sehr linken Gruppe, die in Deutschland Autonome genannt wird, hervorgegangen. Die Gruppe hat, was wir heute Vrijplaats nennen, entwickelt. Der Vrijplaats ist ein kulturelles und soziales Zentrum, das eine Vielzahl von gemeinnützigen Organisationen und Einzelpersonen zusammenbringt und ihnen einen Raum bietet.
Das Gebäude ist seit 2012 im Besitz des Vereins, der den Vrijplaats verwaltet. Der Umsonstladen begann in einem besetzten Haus das nach ein paar Jahren von der Stadtverwaltung geräumt wurde. Durch den Einsatz von einer der linken Parteien hat uns die Stadtverwaltung dieses ehemalige Fabrikgebäude für den symbolischen Betrag von 1 € als Alternative zur Verfügung gestellt. Das Gebäude hatte damals nicht wirklich mehr als ein Dach und es hat etwa 15 Jahre gedauert es wieder herzurichten. Die gesamte Arbeit wurde von Freiwilligen geleistet. Der Umsonstladen musste für diese Zeit einen anderen Ort finden, deshalb gründeten wir unsere eigenen Verein, um einen Ort mieten zu können. Nach einigen Jahren wurde der von uns angemietete Raum wieder als Schule verwendet. Da es sowieso immer unsere Absicht war, wieder in den Vrijplaats zurückzukehren, zogen wir dann mit dem Laden in das renovierte Gebäude um.
Während der Schließung auf Grund des Corona Lockdowns haben wir das Gebäude erneut renoviert. Wir haben die Räume des Restaurants und der Bar mit dem Umsonstladen getauscht. Der Umbau dauerte fast zwei Jahre und ist immer noch nicht ganz abgeschlossen, aber wir konnten letztes Jahr im März in den neuen Räumen wiedereröffnen.
Welche Motivation hattet ihr den Umsonstladen zu gründen?
Die Motivation hatte zwei Elemente. Einerseits ging es darum, dass Menschen, die kein oder wenig Geld haben, trotzdem Zugang zu Dingen bekommen, die sie wollen oder brauchen. Sei es eine Pfanne, ein Tellerset, eine Jeans oder was auch immer. Das hängt auch mit der Überzeugung zusammen, dass Reichtum gleichmäßig unter allen verteilt werden sollte. Andererseits wollten wir dazu beitragen, übermäßigen Konsum zu reduzieren. Die meisten Freiwilligen möchten etwas für die Gesellschaft tun, und in meinem persönlichen Fall, habe ich mich bereits mit Umweltproblemen beschäftigt. Außerdem bekommt man, wenn man hier anfängt zu arbeiten, mehr und mehr mit, was hinter dem Konsum der Gesellschaft steckt und sieht, wie viele Waren weggeworfen werden.
Was braucht es an Ressourcen und anderen Faktoren, um einen Umsonstladen zu gründen, aber auch, um ihn zu erhalten?
Wir sind von dem abhängig, was die Leute vorbeibringen. Wenn wir keine Sachen bekommen, haben wir auch nichts zu verteilen. Im Moment sehen wir zum Beispiel, dass nach ein paar Jahren relativen Wohlstands immer mehr Menschen mit drohender Armut konfrontiert sind. Das bedeutet zum einen, dass mehr Menschen den Weg zum Laden finden, weil sie nicht mehr genug Geld haben. Andererseits wird die Qualität der Produkte, die wir bekommen, tendenziell schlechter ist als noch vor fünf oder sechs Jahren. Aber es gibt immer noch Leute, die eine Menge Sachen zu Hause haben, die sie nicht benutzen, und immer mehr finden den Weg zu Läden wie dem unseren.
Wie werden die Leute auf den Umsonstladen aufmerksam?
Meistens durch Mundpropaganda und über die Website. Manchmal bekommen die Leute diese Adresse auch von offiziellen Stellen, wie der Flüchtlingshilfe oder den Sozialdiensten. Die rufen auch manchmal bei uns an und fragen, ob wir ihnen helfen können. Zum Beispiel, wenn einer ihrer Klienten gerade eine neue Unterkunft bekommen hat, aber keine Möbel hat. Oder vor ein paar Jahren, als viele Geflüchtete auf einmal kamen. Auch letztes Jahr, zu Beginn der Krise in der Ukraine. Wir versuchen dann zu helfen, aber unsere Mittel sind begrenzt. Trotzdem konnten wir ihnen meistens helfen, und das ist dann sehr erfüllend. Normalerweise haben wir eine Regel, die besagt, dass man nicht mehr als fünf Stück pro Person pro Tag mitnehmen darf, aber in diesen Fällen sagen wir: Nimm, was du brauchst!
Warum habt Ihr diese Regel eingeführt?
Wir wollen sicherstellen, dass alle, die es brauchen, eine Chance haben, etwas zu bekommen – und dass nicht die, die zuerst in den Laden kommen, all die besten Sachen mitnehmen.
Was sind Schwierigkeiten beim Betreiben eines Umsonstladens? Oder was sind Stolpersteine?
Ein Stolperstein ist es, einen guten Ort zu finden. Wenn man einen Raum zu marktüblichen Preisen mietet muss, ist das zu teuer. Es muss also ein günstiger Raum gefunden werden. Außerdem braucht es genug Freiwillige. Und wir sind, wie gesagt, von der Menge und der Qualität der Dinge, die die Leute mitbringen abhängig.
Was macht Ihr mit Dingen, die unbrauchbar sind?
Soweit möglich sorgen wir dafür, dass sie recycelt werden. Bei Plastik ist das kompliziert, weil es schwer zu recyceln ist, aber das ist ein weltweites Problem. Aber ich bin optimistisch, dass wir dazu beitragen, dass Verbraucher bewusster kaufen, und dass sich dadurch letztendlich auch etwas in den Produktionsketten ändern wird.
Zukunftsmalerei: Wie könnte der Lebensbereich, in dem Ihr Euch engagiert, in 10-20 Jahren bestenfalls aussehen? Was sind Eure Wünsche für die Zukunft des Umsonstladens?
Ich wäre sehr froh, wenn es keine Secondhand- oder Umsonstläden mehr gäbe. Denn das würde bedeuten, dass alle gute Verwendung für ihre Produkte haben und dass es eine riesige Recyclingindustrie gibt, die dafür sorgt, dass alles, was nicht mehr verwendet werden kann, fachgerecht recycelt wird.